Ein gelb-weißer Kleinbus des On-Demand-Verkehrs SSB FLEX fährt an einer U-Bahnhaltestelle in Stuttgart entlang.
Foto: SSB AG

On-Demand-Verkehre: Interview mit SSB Flex

„Wir waren so mutig, es auszuprobieren“

Sarina Schmidt und Roland Krause vom On-Demand-Verkehr SSB Flex im Interview mit dem Schwerpunkt „Bediengebiete“.

Das Zukunftsnetzwerk ÖPNV fragt nach: In einer Interview-Reihe sprechen wir mit Vertreter:innen der On-Demand-Verkehre in Baden-Württemberg. Die Interviews zeigen Chancen und Herausforderungen, die mit der Einführung solcher Angebote einhergehen. Ein Service für Kommunen und Verkehrsverbünde, die selbst einen On-Demand-Verkehr planen.

Der On-Demand-Verkehr SSB Flex ist das dritte Standbein der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), neben den Stadtbahnen und Bussen. Die Fahrgäste können in ganz Stuttgart sonntags bis donnerstags von 18 Uhr bis 2 Uhr und freitags und samstags von 18 bis 4 Uhr flexibel und auf Abruf fahren. Sie buchen ihre Fahrt ganz einfach über die SSB Flex-App und werden dann an einer von circa 5.500 virtuellen Haltestellen abgeholt, die über das gesamte Stuttgarter Stadtgebiet verteilt sind. Die virtuellen Haltestellen sind im Stadtbild nicht sichtbar, die Kund:innen werden von der SSB Flex-App an einen Punkt navigiert, an dem sie abgeholt werden. Der Fußweg zum Abholpunkt beträgt maximal 300 Meter. Fahrgäste, die zur selben Zeit in dieselbe Richtung fahren, werden in einem Fahrzeug zusammengeführt (Pooling).

SSB Flex hat im Gegensatz zu anderen On-Demand-Angeboten einen eigenen Tarif. Wer eine Zeitkarte hat, bekommt einen Rabatt auf seine Fahrt, aber sie gilt nicht als Fahrschein. Die SSB versteht das Angebot als Ergänzung zum klassischen ÖPNV, vor allem in den Nächten, wenn der ÖPNV abgesehen vom Nachtbus gar nicht fährt.

SSB Flex hat eine eigene Flotte von 24 überwiegend elektrischen Fahrzeugen, von denen zwei barrierefrei sind. Die Fahrer:innen sind nicht bei der SSB angestellt, sondern bei einem Personaldienstleister.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Sie haben SSB Flex ohne Landesförderung aufgebaut. Wie haben Sie es von der Pilotphase zum Regelbetrieb geschafft – gerade auch im Hinblick auf die Finanzierung?

Roland Krause: Als wir im Juni 2018 in das Pilotprojekt gestartet sind, gab es noch keine Förderungen. SSB Flex war einer der ersten On-Demand-Verkehre in Deutschland. Wir haben das als Zukunftsthema gesehen und zunächst aus Bordmitteln finanziert beziehungsweise letztendlich über den Ausgleichsanspruch in der Landeshauptstadt Stuttgart. Uns ist es aber relativ früh gelungen, auch den Gemeinderat von dem System zu überzeugen. Der Gemeinderat Stuttgart hat dann beschlossen, dass SSB Flex Teil des Nahverkehrsplans ist und damit auch Teil von unserem öffentlichen Dienstleistungsauftrag.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Das Angebot wird sich – wie der ÖPNV generell – also nicht aus den Einnahmen der Fahrten finanzieren lassen?

Krause: Die Kostendeckung liegt durchaus in ähnlicher Größenordnung wie bei einzelnen Buslinien, die zu vergleichbaren Zeiten und an vergleichbaren Orten fahren. Man muss wissen, dass bei uns 50 bis 60 Prozent der Kosten Personalkosten sind. Ohne autonomes Fahren – was vorerst Zukunftsmusik bleibt – wird dieses System nie zu 100 Prozent kostendeckend sein. Das ist aber generell so im ÖPNV, weil wir als Teil der Daseinsvorsorge nicht nur in Zeiten mit Spitzennachfrage fahren, sondern auch in den Abendstunden und sonntagmorgens. Das trägt natürlich nicht zu einer guten Kostendeckung bei, aber es ist eben Teil unseres Auftrags.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: SSB Flex ist zunächst mit recht kleinen Bediengebieten gestartet, in denen zu unterschiedlichen Zeiten gefahren wurde. Später haben Sie das Bediengebiet auf ganz Stuttgart ausgeweitet und die Bedienzeiten vereinheitlicht. Welche Erfahrungen haben sie damit gemacht?

Sarina Schmidt: Als SSB Flex startete, gab es zwei Bediengebiete in den Außenbezirken von Stuttgart mit Tagesbedienung. Von Donnerstag bis Sonntag sind die Shuttles zusätzlich in den Abendstunden im Innenstadtbereich gefahren. Wir haben aber relativ schnell gemerkt, dass das Konzept für die Kunden schwer verständlich war und dass die Bediengebiete einfach zu klein geschnitten waren. Heute müssen die Fahrgäste nur noch wissen, dass wir sieben Tage die Woche in ganz Stuttgart ab 18 Uhr fahren und an den Wochenenden ein bisschen länger, bis 4 Uhr morgens statt bis 2 Uhr. Das können sie sich merken und es ist leicht kommunizierbar.

Natürlich haben wir uns Gedanken darüber gemacht, ob wir mit den vorhandenen Fahrzeugen von den kleinen Bediengebieten auf ganz Stuttgart ausweiten können. Aber wir waren so mutig, es einfach auszuprobieren. Wir haben viel über das System und die Fahrtwünsche der Kunden gelernt und die Pooling-Quote [Anteil der Buchungen, die gleichzeitig mit einem Fahrzeug abgewickelt werden, Anm. d. Red.] hat sich wesentlich verbessert. Es hat sich total bewährt, dass wir diesen Schritt gegangen sind.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie hat sich die Pooling-Quote entwickelt?

Schmidt: Am Wochenende ist die Quote echt gut. Da werden schon über 50 Prozent der gebuchten Fahrten zusammengelegt. Unter der Woche ist die Quote ein bisschen niedriger.

Krause: Ein kleiner Exkurs: Man muss zwischen Pooling-Quote und Besetzungsgrad unterscheiden. Wenn drei Leute gemeinsam buchen, ist ein Fahrzeug mit fünf Plätzen schon recht gut ausgelastet, gilt aber eben als nicht gepoolt, obwohl die Fahrt genauso effizient ist, wie bei drei zusammengelegten Buchungen von Einzelpersonen. Die Pooling-Quote hat auch eine Grenze, da zwei Gruppen mit je drei Personen nicht in einem solchen Fahrzeug zusammengelegt werden können.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Nochmal zurück zu den Bediengebieten. Wie sind Sie denn bei der Erweiterung des Bediengebietes vorgegangen?

Krause: Das Wichtigste war, die virtuellen Haltestellen in den Gebieten zu ergänzen, die SSB Flex bisher nicht bedient hatte. Im gesamten Gebiet sind es mittlerweile rund 5.500. Eine weitere Hauptaufgabe war natürlich im Buchungssystem – statt der kleinen Flecken – die gesamte Stadt abzubilden. Aber das ist für den Systemanbieter kein Problem. Wir haben auch Verkehrsnachfragemodellierungsmodelle genutzt, um zu prognostizieren, wie sich das größere Bediengebiet hinsichtlich der Auslastung und der verlagerten Fahrten auswirkt. Allerdings muss man da vorsichtig sein. Solche Systeme sind nur so gut wie die Eingangsdaten. Die Ergebnisse sind daher bei On-Demand-Verkehren nicht so präzise wie beispielsweise bei einer Stadtbahn, weil gerade am Anfang die Erfahrungswerte fehlen.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Der Bedarfsverkehr in den Erprobungsgebieten Stuttgart Süd, Degerloch, Vaihingen und Möhringen wird auch tagsüber fahren. Welche Gründe hat diese Entscheidung und was erhoffen Sie sich davon?

Krause: Der Impuls kam vom Gemeinderat der Stadt Stuttgart. Stuttgart ist sehr gut mit Bussen und Bahnen erschlossen. Ein Gutachten aus dem Jahr 2021, in dem das beauftragte Ingenieurbüro nach sehr feinräumigen Erschließungskriterien bewertet hat, etwa Topografie und Erreichbarkeit von Haltestellen für Fußgänger, hat einzelne Defizitgebiete identifiziert. Daher hat der Gemeinderat uns den Auftrag erteilt, ein Konzept zu entwickeln, wie man diese besser erschließen kann. Wir haben deshalb in Stammheim vor anderthalb Jahren einen Ortsbus eingeführt. Es ist aber auch wichtig, unterschiedlichen Ansätze zu testen, bevor man entscheidet, in jedem Stadtgebiet alle halbe Stunde einen oft leeren Ortsbus kreiseln zu lassen. Daher haben wir vier Stadtbezirke zusammengefasst, um dort SSB Flex tagsüber nach Bedarf fahren zu lassen. Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln und unterschiedliche Ansätze zu erproben, zu evaluieren und zu bewerten.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Wie regeln Sie die Tagesbedienung tariflich?

Krause: Innerhalb der Defizitgebiete kann man mit dem Ortsbus, unabhängig von der Anzahl der Haltestellen, mit einem Kurzstreckenticket fahren. So werden wir das auch mit SSB Flex handhaben. Es geht hier um Vergleichbarkeit. Wenn ein Fahrgast mit dem On-Demand-Angebot aus dem Defizitgebiet herausfahren will, gilt der normale SSB Flex-Tarif.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Hat die Umstellung auf Bedarfsverkehr in den Erprobungsgebieten softwareseitig Auswirkungen?

Schmidt: Also räumlich ist das einfach, weil es bei uns um einen Teil des bestehenden Bediengebietes geht. Tagsüber werden in der App nur Gebiete angezeigt, die auch bedient werden. Über die Tarife brauchen sich die Kunden keine Gedanken zu machen. Unser Buchungssystem zeigt ihnen den Fahrpreis vom Start zum Ziel an.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Stichwort Fachkräftemangel: Ist es besonders schwierig, Fahrpersonal für die Abend- und Nachfahrten von SSB Flex zu gewinnen?

Schmidt: Ja, ist es. Die Arbeitszeiten sind natürlich nicht die attraktivsten, vor allem da wir freitags und samstags bis 4 Uhr nachts fahren. Wir arbeiten momentan überwiegend mit studentischen Fahrern. Und da kann man sich ja vorstellen, dass für diese Personengruppe am Wochenende auch noch andere Interessen bestehen als für SSB Flex zu fahren.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Machen die SSB-Angebote sich gegenseitig Konkurrenz, wenn es um die Suche nach Fahrer:innen geht – schließlich brauchen sie ja auch Busfahrer:innen?

Schmidt: Nein. Um für SSB Flex zu fahren, braucht man einen Personenbeförderungsschein und natürlich einen Führerschein. Die benötigte Qualifikation ist daher wesentlich geringer als für einen klassischen Busfahrer.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Sie haben für SSB Flex einen Dienstleister für das Fahrpersonal beauftragt. Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Dienstleister?

Schmidt: Die Zusammenarbeit mit dem Dienstleister hat Vor- und Nachteile. Einerseits wickelt der Dienstleister die Fahrerakquise, die ganze vertragliche Gestaltung und die Schichtplanung für uns ab. Auf der anderen Seite läuft die Ansprache der Fahrer nur indirekt über das zwischengeschaltete Unternehmen. Manchmal wäre es gut, wenn wir direkten Zugriff auf die Fahrer hätten. Wir reden nur in einzelnen, disziplinarischen Fällen direkt mit ihnen. Beispielsweise wenn es dreimal eine Beschwerde über die fiktive Person Herrn Meier gab. Wir sind auch nicht so nah an den Fahrgästen und ihren Erfahrungen dran, wie wenn die Fahrer für uns arbeiten würden.

Zukunftsnetzwerk ÖPNV: Haben Sie Tipps für andere Unternehmen, die mit einem Dienstleister zusammenarbeiten?

Krause: Bei uns kommen Personal und Software von unterschiedlichen Dienstleistern. Manchmal sagt der Personaldienstleister bei einem Problem: „Das gibt die Software nicht her“, und manchmal ist der Betrieb der Flaschenhals. Es gibt auch die Möglichkeit, Software und Personal aus einer Hand zu beziehen – Stichwort „Transportation-as-a-Service“ (TaaS). Es ist durchaus eine Überlegung wert, ein TaaS-Modell zu wählen.

Newsletter

Wir halten Sie auf dem Laufenden!

Jetzt abonnieren
totop-arrow